Polyneuropathie (PNP)
Dr. Wolfgang Kersten, Chemiker
1. Definition einer PNP
2. PNP-Arten
a) Welche PNP-Art habe ich?
b) Habe ich eine toxische PNP – eine Umweltkrankheit?
3. Ursachen für eine PNP
a) Was sind die häufigsten Ursachen für eine PNP?
b) Welche Ursachen gibt es für eine toxische PNP?
4. Welche Beschwerden können mit einer PNP verbunden sein?
5. Die Diagnose für eine PNP
6. Die Therapie für eine PNP
7. Welche Maßnahmen zur Hilfe für PNP-Patienten sind unbedingt erforderlich?
8. Literatur
1. Definition einer PNP
Bei der PNP handelt es sich um eine Schädigung peripherer Nerven, d.h. der Nerven, die außerhalb des Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) liegen. Beteiligt sind sensible, motorische, und autonome Nerven. Vor allem Füße aber auch Hände können betroffen sein, sehr viel seltener der Schulterbereich oder auch das Gesicht. Charakteristisch sind Sensibilitätsstörungen, Schmerzen und in schwereren Fällen motorische Ausfälle z.B. ataktische Gangstörung und Lähmungen.
2. PNP-Arten
a) Welche PNP-Art habe ich?
Ein Neurologe kann feststellen, ob eine PNP vorliegt. In weiteren Untersuchungen ist zu klären, um welche Art der PNP es sich handelt.
Man unterscheidet sechs verschiedene Arten der Polyneuropathie:
1. Toxische PNP
2. PNP mit unbekannter Ursache
3. metabolische PNP, (Abklärung durch Internisten)
4. entzündliche PNP, (Abklärung durch Rheumatologen)
5. erbliche PNP, (molekulargenetische Untersuchungen
z. B. Uni-Klinik Münster, Prof. P.Young)
6. Tumor begleitende PNP (Gewebeuntersuchung auf Tumore)
Auf die PNP-Arten 3 bis 6 wird in diesem Text nicht näher eingegangen, da es sich bei ihnen nicht oder nicht unmittelbar um Umweltkrankheiten handelt.
b) Habe ich eine toxische PNP - eine Umweltkrankheit?
Die Toxische PNP ist eine Umwelterkrankung. Auch bei der PNP mit unbekannter Ursache kann es sich um eine toxische PNP handeln, wenn die PNP-Arten 3 bis 6 auf Grund von medizinischen Untersuchungen ausgeschlossen werden konnten.
Der Mensch ist im Laufe seines Lebens in seinem Beruf und in seinem privaten Bereich mit einer großen Vielfalt von Chemikalien konfrontiert. Rund 100000 Chemikalien, sind derzeit auf dem EU-Markt erhältlich. Nur von einem Bruchteil dieser einzelnen Stoffe ist ihre Wirkung bekannt. Auch über ihre Langzeitwirkung und die Wirkung bei geringen Stoffkonzentrationen liegen kaum Kenntnisse vor. Tatsächlich sind wir aber fortwährend von einer Vielzahl von Stoffen umgeben und nicht von einzelnen isolierten Stoffen. Gerade für diesen üblichen Fall der Stoffkombinationen und ihre Langzeitwirkungen liegen aber praktisch keine Kenntnisse vor.
Die große Vielfalt der Stoffe und die ungenügenden Kenntnisse über ihre Wirkungen machen eine Zuordnung zu einem bestimmten Schadstoff oder einer Schadstoffkombination als Verursacher der PNP vielfach unmöglich.
3. Ursachen für eine PNP
a) Was sind die häufigsten Ursachen für eine PNP? 1
Es ist von mehreren Hundert Ursachen als Auslöser für eine PNP auszugehen.
1984 – 1992 ist an der neurologischen Universitätsklinik Erlangen bei 1195 Patienten die Ursache für eine Polyneuropathie ermittelt worden. Die häufigsten Ursachen waren:
1. Diabetes mellitus 34,8 %
2. Unbekannte Ursache 22,0%
3. Alkohol 11,1%
Bemerkenswert ist dabei, dass die Patienten mit Polyneuropathie mit unbekannter Ursache nach den Diabetikern das größte Patientenkontingent stellen. Das zeigt, dass es auf dem Gebiet der Ursachenforschung für PNP noch großen Klärungsbedarf gibt.
b) Welche Ursachen gibt es für eine toxische PNP? 2-4
Auslöser für die toxische PNP sind neurotoxische Stoffe. Einer der bekanntesten neurotoxischen Stoffe ist das Genussmittel Alkohol. Beispielhaft folgen weitere neurotoxische Stoffe.
Lösungsmittel: Methanol, n-Hexan, Benzol, Toluol, Xylol, Dichlormethan, Trichlorethen, Tetrachlorethen, Methylethylketon, Butanon, Schwefelkohlenstoff, Schimmelpilz-MVOC
Gase: Kohlenmonoxid, Schwefelwasserstoff
Schwermetalle: Quecksilber, Blei, Cadmium und ihre Verbindungen
Metalloide: Arsen und ihre Verbindungen
Biozide: Permethrin, Chlorpyrifos, Propoxur, Methoxychlor, Pentachlorphenol, p,p’-DDT
Organophosphate: Trikresylphosphat, Triphenylphosphat, Tributylphosphat
Verunreinigungen, technische Hilfsstoffe: polychlorierte Biphenyle (PCB), polychlorierte Dibenzodioxine und polychlorierte Dibenzofurane (PCDD/F)
Arzneimittel: Neuroleptika, Antibiotika
Bakterielle, pflanzliche, tierische Gifte: Botulinumtoxin, Aconitin, Schlangengifte.
4. Welche Beschwerden können mit einer PNP verbunden sein? 5-7
Sensible Störungen äußern sich in Taubheitsgefühlen für Berührung, Schmerz, Temperatur und verringerter Feinmotorik. Letztere zeigt sich z.B. in Form von Gangunsicherheiten. Ferner treten Missempfindungen wie z.B. Kribbeln oder spontane Schmerzen auf. Berührungen werden als unangenehm oder schmerzhaft empfunden.
In mehr als 20 Fällen ist die PNP mit einem Restless-Legs-Sydrom (RSL) verbunden. Charakteristisch für ein RLS sind die ruhelosen Beine in der Ruhephase. Die Beine sind nicht nur ruhelos sondern es baut sich ein Schmerz auf, der einen mehrfach in der Nacht aus dem Bett treibt. Ein Durchschlafen ist auch mit Schlafmittel (Zopiclon 7,5 mg) nur sehr selten möglich.
Als autonome Störungen zeigen sich eine Verringerung beim Hautwachstum, der Blasenfunktion, Mastdarmfunktion und Blutdruckregulation. Ein plötzlicher Blutdruck-abfall kann z.B. Stürze zur Folge haben. Ferner verringert sich die Schweißsekretion und Potenzstörungen treten auf. Der Heilungsprozess von Wunden an betroffenen Gliedern ist deutlich verzögert.
5. Die Diagnose für eine PNP
Krankheitsgeschichte und Beschwerdeschilderungen des Patienten sowie neurologische Untersuchungengeben Aufschluss, ob eine PNP vorliegt. Blutuntersuchungen liefern Hinweise auf die Art der PNP. Anhand der Nervenleitgeschwindigkeit und Veränderung der Potential-Signalamplitude lässt sich feststellen, ob primär der Nerv selbst (Axon) oder die Nervenhülle (Myelin) geschädigt ist. Bei PNP mit unklarer Ursache wird oftmals Nervenwasser entnommen (Lumbalpunktion). Die Untersuchung des Nervenwassers kann z.B. Aufklärung bringen, ob eine Neuroborreliose die PNP hervorgerufen hat. Bei besonders schweren, schnell fortschreitenden Erkrankungen kann auch eine invasive Nerven-Muskel-Biopsie sinnvoll sein.
6. Die Therapie für eine PNP
Eine Krankheit kann nur dann wirksam behandelt werden, wenn die Ursache bekannt ist.
Bei einer toxischen PNP ist der weitere Kontakt mit den als Ursache erkannten neurotoxischen Stoffen sofort einzustellen (z.B. Alkoholverzicht). Solange die Ursachen für die PNP aber nicht bekannt sind, können lediglich Maßnahmen zur Linderung bzw. Stabilisierung des bestehenden Krankheitszustandes eingeleitet werden. Wichtig ist viel Bewegung, Krankengymnastik nach Bobath, PNF (propriozeptive neuro-muskuläre Fazilitation) oder Vojta und Fitness-Training. Das gilt auch für die übrigen Polyneuropathie-Arten.
Zur Behandlung der Schmerzen kommen Antiepileptika wie z.B. Gabapentin (Neurontin®) oder Pregabalin (Lyrica®) aber auch das Antidepressivum Duloxetin und Opioide sowie Cannabinoide zur Anwendung. Die Anwendung Letzterer bedarf umfassender ärztlicher Beratung. Alle diese Medikamente können zu erheblichen Nebenwirkungen führen. Zunehmende Bedeutung zur Schmerzbekämpfung erlangen schonendere Verfahren wie die Transkutane Elektrische Nervenstimulation (TENS). TENS gibt es in zwei Ausführungen einer niederfrequenten Art (rund 2 Hz) und einer höherfrequenten Art (etwa 200 Hz). Durch TENS wird die Schmerzweiterleitung zum Gehirn veringert.
Je nach Ausprägung der PNP sind Einlagen, orthopädische Schuhe oder Schienen wichtige Hilfsmittel.
Je nach Ausprägung der PNP sind Einlagen, orthopädische Schuhe oder Schienen wichtige Hilfsmittel.
7. Welche Maßnahmen zur Hilfe von PNP-Patienten sind unbedingt erforderlich?1
a) Der Umgang mit neurotoxischen Stoffen am Arbeitsplatz ist zu minimieren. Besteht keine
Möglichkeit die neurotoxischen Stoffe durch ungiftige Stoffe zu ersetzen, ist streng da-
rauf zu achten, dass die Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden.
b) Durch Gesetze und Verordnungen ist auf europäischer Ebene zu regeln, dass
Konsumartikel frei von neurotoxischen Stoffen sind. Besteht keine Möglichkeit,
Konsumartikel frei von neurotoxischen Stoffen sind. Besteht keine Möglichkeit,
die neurotoxischen Stoffe durch ungiftige Stoffe zu ersetzen, ist darauf zu achten, dass
geeignete Schutzmaßnahmen getroffen werden. Beim Nervengift Alkohol ist jeder Einzelne
aufgefordert, im Sinne seiner Gesunderhaltung Maß zu halten.
c) Die neuromuskulären Zentren in Deutschland und in Europa werden aufgefordert,
verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, damit der Bildungsmechanismus der PNP mit
unbekannter Genese aufgeklärt wird und damit für dieses große Kollektiv an Patienten
(rund 20 % aller PNP-Patienten) durch gezielte Therapie endlich auch Heilung möglich wird.
d) Patienten mit PNP, aber auch alle anderen Umweltkranken, sind nicht länger als Simulanten
oder psychisch Kranke zu diffamieren.
8. Literatur:
1 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Thieme-Verlag 2008, die Leitlinie der DGN 2019 ist in Überarbeitung
2 Berufskrankheiten (BK)-Report 3/99 (BK 1317)
3 Dr. I. Böckelmann, Neurotoxikologie in der Umweltmedizin
Institut für Arbeitsmedizin Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
im Internet: www.dbu-online.de/fileadmin/Dokumente/ unter Umweltmedizin IV.pdf, Folie 13
4 Umweltbericht 61/2002 Schwerflüchtige organische Umweltchemikalien in Hamburger Hausstäuben,
Behörde für Umwelt und Gesundheit
5 Ansprechpartner für Hamburg und Umgebung:
Helga Anders Tel. 040-564538
E-Mail: anders08@gmx.de
Günter Hegemann: 040-2791302
6 Ansprechpartner für Deutschland
Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e.V. in Mönchengladbach
Albert Handelmann - Tel. 02161 48 29 63
E-Mail: a.handelmann@selbsthilfe-pnp.de
Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e.V. in Mönchengladbach
Albert Handelmann - Tel. 02161 48 29 63
E-Mail: a.handelmann@selbsthilfe-pnp.de
Homepage: www.polyneuro.de