BfR Berichterstattung zum Glyphosat - Vorbemerkung
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist eine Bundesbehörde unterhalb der Ministerien, die aus der Zerschlagung des Bundesgesundheitsamtes 1994 hervorgegangen ist. 6 verschiedene Bundesbehörden teilen sich Zuständigkeiten im Bereich des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung, was früher unter einem Dach war: 1. Das RKI, Robert-Koch-Institut, Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nicht übertagbare Krankheiten; 2. das BfArM, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; 3. das PEI, Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamt für Sera und Impfstoffe; 4. BfR; 5. BLV, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit; 6. FLI, Friedrich-Löffler-Institut, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit.
Die umfassende Betrachtung der Gesundheit der Bevölkerung (und der Tiere) bzw. der Gesundheitsgefahren ist gewichen einer Einzelbetrachtung auseinandergerissenen Aspekte und Zuweisung bestimmter Rollen: Mal ist der Mensch ein Kranker, ein Patient, ein Infektions-Träger, ein Impfstoff-Empfänger, ein Krebskranker, oder auch mal ganz allgemein ein "Verbraucher". So steht auf der BfR-Seite unter "Gesetzlicher Auftrag": "Im Mittelpunkt der Arbeit des BfR steht der Mensch als Verbraucher. Mit seiner Arbeit trägt das Institut maßgeblich dazu bei, dass Lebensmittel, Stoffe und Produkte sicherer werden. So hilft das BfR, die Gesundheit der Verbraucher zu schützen." Das BfR trägt also "dazu bei", wer macht das noch? Eben die anderen Bundesinstitute. Und wenn man dann mal beim Ministerium selbst nachfragt, egal ob Gesundheits- oder Landwirtschafts-Ministerium, wird gleich an diese Institute verwiesen, da sitzen die Experten, heisst es. Mit dieser famosen Neu-Organisation der neoliberal gewandelten Bundesrepublik ist schon mal für eines gesorgt: Für möglichst viel Verwirrung und im Einzelfall für ein aussichtsloses Suchen nach Verantwortlichkeit. Die ist hinwegorganisiert, Ulrich Beck lässt grüssen.
In dem "Gesetz über die Errichtung eines Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR-Gesetz - BfRG)" von 2002 wird nicht gross über Aufgabenableitung und -bestimmung gesprochen, es werden gleich 13 "Tätigkeiten" festgelegt, von denen hier zwei aufgegriffen werden sollen:
"Erstellung von wissenschaftlichen Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen, die unmittelbar oder mittelbar mit der Lebensmittelsicherheit oder dem Verbraucherschutz im Hinblick auf die Gesundheit des Menschen einschließlich Fragen der Ernährung und Ernährungsprävention und, soweit Futtermittel, Futtermittelzusatzstoffe, der Verkehr mit und die Anwendung von Arzneimitteln, die zur Anwendung bei Tieren bestimmt sind, und bei Tieren angewandte pharmakologisch wirksame Stoffe, ausgenommen Tierimpfstoffe, betroffen sind, auch im Hinblick auf die Tiergesundheit in Zusammenhang stehen"
"Bewertung der Gesundheitsgefährlichkeit von Chemikalien, Dokumentation und Information zu Vergiftungsgeschehen"
Verbraucher und Unternehmer
Während in dem BfR-Gründungsgesetz noch der Verbaucherschutz zur "Gesundheit des Menschen" dienen soll, wird in der Selbstauskunft der BfR-homepage die "Gesundheit der Verbraucher" angegeben. Ein kleiner Unterschied, der interessant wird, wenn man einen Blick ins Bürgerliche Gesetzbuch wirft, §§ 13 und 14: Hier werden "Verbraucher" und "Unternehmer" direkt hintereinander definiert, als wichtige Ausprägungen von "natürlichen Personen" im BGB (davor steht noch der Soldat).
Daraus folgt: Wer seine Aufgabe darin sieht, der Gesundheit der Verbraucher zu dienen, hat im Hinterkopf immer den Gegen-Part des Verbrauchers, den Unternehmer. Letzterer produziert was, was ersterer konsumiert. Geht es um Lebensmittel, produzieren die landwirtschaftlichen und sonstigen Lebensmittel-Unternehmer das, was der Verbraucher konsumiert bzw. isst und trinkt.
Wie sehr das BfR in seinem Alltagsgeschäft stets auch die "andere" Seite im Blick hat, ist schon bei unserer Betrachtung der "Grenzwert"-Debatte offenbar geworden. Hier noch einmal diese Sätze des BfR-Präsidenten: "Höchstgehalte oder Grenzwerte sind Handelsstandards, keine wissenschaftlich begründeten Interventionsgrenzen. Es geht darum, dass der Vollzug sehen kann: Sind da Stoffe drin – ja oder nein? Damit die Ware frei handelbar wird." Es geht also darum, den freien Handel mit Produkten oder Waren auch dann, wenn evtl. Schadstoffe enthalten sind, insoweit zu sichern als durch die Einführung von "Höchstgehalten" dieser Schadstoffe die Gesundheit der Verbraucher nicht beeinträchtigt wird. Jedenfalls wird das behauptet und das ist das Konzept. Das BfR erscheint so als eine Art Vermittlungs-Institution zwischen Unternehmer und Verbraucher, damit ingesamt der freie Handel weiterlaufen kann. Der aber ist sakrosant, darüber darf nicht und braucht auch nicht geredet werden.
Glyphosat, eine gesundheitsgefährliche Chemikalie ...
Daran ist nicht zu rütteln, Glyphosat ist gesundheitsgefährlich. Das bestreitet auch das BfR nicht. Aber die evtl. Gesundheitsgefährdung ist so minimal, behauptet das BfR, dass dies einer Verlängerung der EU-weiten Zulassung nicht im Wege steht. O-Ton Dr. Roland Solecki / BfR-Abteilungsleiter Sicherheit von Pestiziden: "Unsere umfassende Bewertung von Glyphosat hat ergeben, dass Glyphosat sehr stark augenreizend ist, davor wird auch gewarnt. Wir haben ausserdem festgestellt, dass die Verwendung von Glyphosat in Pflanzenschutzmitteln kein Risiko für krebserzeugende Wirkung, für reproduktionstoxische Wirkung hat, keine endokrinen Effekt bewirkt, nicht neurotoxische, immunotoxische Wirkungen hervorruft, wenn es entsprechend den Vorgaben verwendet wird und das natürlich auf Basis der von uns ausgewerteten, umfangreichen Studien." (Zitat aus: "Gift im Acker - Glyphosat, die unterschätzte Gefahr?", WDR-TV, 2.11.2015, ab Minute 2:50)
... die aber ruhig weiter angewandt werden darf,
denn das bischen Augenreizen ist vermeidbar und sonst ist diese Chemikalie nicht gesundheitsgefährlich! Vor allem ist sie nicht krebserzeugend, da ist sich das BfR auch nach der Veröffentlichung der IARC-Monographie sicher: 24.11.2015, BfR-homepage:
"Das BfR kommt nach Prüfung aller bislang vorliegenden Studien, Dokumente und Veröffentlichungen einschließlich der Glyphosat-Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO (IARC) zu dem Ergebnis, dass nach derzeitiger wissenschaftlicher Kenntnis bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat kein krebserzeugendes Risiko für Menschen zu erwarten ist."
BfR Berichterstattung zum Glyphosat - Teil 1
Am 5.12.2013 gab das BfR auf seiner homepage bekannt, dass ein "Entwurf zur Neubewertung des gesundheitlichen Risikos von Glyphosat erstellt" worden ist. Dies deshalb, weil das "berichterstattende Mitgliedsland Deutschland" sei - für die EU-Kommission bzw. für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA).
Wie sah die Neubewertung aus? "Die Analyse der zahlreichen neuen Dokumente ergibt keine Hinweise auf eine krebserzeugende, reproduktionsschädigende oder fruchtschädigende Wirkung durch Glyphosat bei den Versuchtstieren. Sie geben auch keinen Anlass, die gesundheitlichen Grenzwerte (insbesondere der täglich duldbaren Aufnahmemenge (ADI) wesentlich zu verändern."
Die Neubewertung entsprach also der Altbewertung, Glyphosat ist seit Jahrzehnten zugelassen und im Einsatz, es ist das mit Abstand am meisten eingesetzte Total-Herbizid weltweit. Also business as usual?
Nicht ganz, denn es gibt da noch eine 'öffentliche Diskussion': "Angesichts der öffentlichen Diskussion um die Einschätzung möglicher gesundheitlicher Risiken von Glyphosat veranstaltet das BfR am 20. Januar 2014 ein Symposium zum Stand der aktuellen gesundheitlichen Bewertung des Pflanzenschutzmittelwirkstoffs."
Auf diesem öffentlichen Symposium präsentierte der BfR-Mitarbeiter Lars Niemann diese Folien und das BfR resümmierte sodann auf der homepage "Glyphosat: Nicht giftiger als bisher angenommen".
Irritation im März 2015
"Löst Glyphosat Krebs aus?" war die entgeisterte Frage des BfR, wenige Tage nachdem das IARC bekanntgegeben hatte, dass sie das Glyphosat in die Kategorie 2A eingeordnet habe, was bedeutet 'wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen'.
Das sei "wissenschaftlich schlecht nachvollziehbar und offenbar nur mit wenigen Studien belegt", monierte das BfR und beschwört die doch ganz andere Einschätzung nicht nur des BfR, sondern auch "der EU-Institutionen und dem für die Bewertung von Pestizidwirkstoffen zuständigen Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR) der FAO/WHO".
Und was die 3 epidemiologischen Studien aus den USA, Kanada und Schweden angehe, die das IARC für den Zusammenhang von Glyphosat-Exposition und einem erhöhten NHL-Riskiko anführt, so hätte das BfR doch demgegenüber gleich 30 epidemiologische Studien ausgewertet mit dem klaren Ergebnis, dass da nichts ist. Auch die angeführten tierexperimentellen Studien seien hinreichend bewertet worden mit demselben Ergebnis.
BfR Berichterstattung zum Glyphosat - Teil 2
Am 3.Juli 2015 teilte das BfR mit, es habe nunmehr die Berichterstattung abgeschlossen und es empfehle, den Bericht des IARC "im Verfahren zu berücksichtigen". Das BfR spricht von einem "wissenschaftlichen Divergenzverfahren innerhalb der WHO" und behauptet so, dass sich das IARC mit seinem (neuen) statement im Widerspruch selbst zu 'eigenen' anderen WHO-Untergliederungen (gemeint ist das JMPR) befinde, den die WHO selbst erst einmal klären müsse.
Als am 29.Juli 2015 das IARC seine Glyphosat-Monographie veröffentlichte, kam postwendend einen Tag später vom BfR die Mitteilung: "BfR prüft Monographie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) zu Glyphosat - Divergenzverfahren innerhalb der WHO noch nicht aufgehoben" Das BfR verspricht: "Das Ergebnis wird von Deutschland als Berichterstatter für den Wirkstoff Glyphosat im Zuge der Überprüfung der Wirkstoffgenehmigung auch an die EFSA übermittelt"
werden.
BfR Berichterstattung zum Glyphosat - Teil 3
In der Tat verfasste das BfR eine 123-seitige Ergänzung ('Addendum') zu dem der EFSA bereits vorgelegten Bericht, mit Datum vom 31.08.2015, in dem zur IARC-Monographie Stellung genommen wird. Diese Ergänzung ist wie schon der eigentliche Bericht 'nicht öffentlich'; das BfR ist sich mit den europäischen Behörden darin einig, dass erst NACH der Entscheidung der EU-Kommission eine Veröffentlichung stattfinden soll - allein dies ist ein Skandal für sich, wie soll eine interessierte Öffentlichkeit sich ein Bild verschaffen, wenn die entscheidenden Dokumente unter Verschluss sind? Allerdings hatte im Falle dieses BfR-'Addendums' die Redaktion des TV-Magazins "Fakt" dieses zugespielt bekommen und auf seiner homepage zum download verlinkt.
In einem Fakt-Fernsehbeitrag von Andreas Rummel vom 20.10.2015 unter dem Titel "Wie gefährlich ist das meist eingesetzte Pflanzengift der Welt, Glyphosat?" wird unter Bezug auf die am 28.09.2015 in einer Anhörung des Bundestages öffentlich geführte Debatte festgestellt: "Von den geladenen Experten bekommt der BfR-Präsident harte Vorwürfe zu hören. 'Ich bezeichne dieses als eine vorsätzliche Fälschung von Studieninhalten' (Prof. Greiser) 'Sie sehen in den vier Tierstudien nur negative Ergebnisse. Ich kann Ihre Risikoeinschätzung für Krebs nicht beurteilen. Denn Sie haben keine Risikobewertung für Krebs gemacht!' (Prof. Portier)" [ Auf diese Anhörung gehen wir an anderer Stelle noch ausführlich ein ]
Fakt weiter: "Klar ist, das BfR meldete immer, es gäbe keine Anzeichen von Krebs in den Tierversuchen. Und: Von fünf Studien an Mäusen [es werden die Studien-Jahre 1983, 1993, 1997, 2001 und 2009 gezeigt] habe es zwar bei einer eine signifikante Steigerung von Lymphdrüsenkrebs gegeben, doch das sei nicht relevant, denn die anderen vier Studien hätten nichts gezeigt. Nur: Die Experten von IARC sahen etwas ganz anderes. Nämlich in insgesamt drei Studien Häufungen von Lymphdrüsenkrebs. Ausserdem in einer dieser Studien signifikant mehr Nierentumoren (1983), und in einer anderen signifikant mehr Krebs der Blutgefäße (1993). ... Portier den Vorwurf erhoben, das BfR habe signifikante Steigerungen von Tumoren nicht einmal erwähnt."
Fakt: "Antwort von Prof. Hensel: "Also, das sind einfach haltlose Vorwürfe, da muss man mit dem Herrn Portier nochmal reden. Alle diese finden sich wieder in unseren Bewertungen und das wird in wenigen Tagen, wenn die EFSA fertig ist, jeder lesen können, welche Position wir dazu haben."
Was ist nun das Neue an dem 'Addendum'? Gibt es überhaupt was Neues?
Fakt dazu: "Der Inhalt des Dokuments birgt Sprengstoff. Denn jetzt stellt das BfR fest, alle vom IARC benannten Tumorbefunde sind signifikant. Und: Das BfR meldet plötzlich noch mehr Krebseffekte. In JEDER der fünf Mäuse-Studien finden sich signifikante Anstiege von Tumoren unter Glyphosat-Gabe." Den Grünen-Abgeordneten Harald Ebner macht das "schon ein bischen fassungslos. .. Die Studien sind ja nicht neu, die sind ja schon einige Jahre alt. Da frag ich mich schon, wie konnte man das bisher übersehen? Warum ist das BfR bislang zu dem Schluss gekommen, keine Signifikanz, keine Kanzerogenität" Und Fakt: "Die Frage ist, warum sah das IARC Tumoren, wo das BfR so lange keine sah? Die erstaunliche Antwort gibt das Dokument selbst!"
Diese "erstaunliche" Antwort steht auf Seite 37 des Addendums:
"IARC included a trend test (generally according to Cochran-Armitage) for statistical evalution of the data. In contrast, initially, the RMS relied on the statistical evalution provided with the study reports, which was performed and documented as foreseen in the individual study plans." Das IARC hat also selbständig statistische Siginifikanz-Tests gemacht, während das BfR das nicht gemacht hat sondern einfach auf die Studien-Reporte vertraut hat.
Fakt fragt: "Hat sich das Bundesinstitut für Risikobewertung auf die Angaben der Herstellerfirmen verlassen? So sieht es zumindest der Toxikologe Peter Clausing. Er hat die BfR-Berichte penibel ausgewertet: 'Das BfR hat mehrfach schriftlich versichert, dass es eine unabhängige Bewertung und Auswertung der ihnen vorliegenden Studien und Materialien vorgenommen hat. Das sollte eigentlich die statistische Auswertung von Krebsstudien mit einschliessen. Die Tatsache, dass Industriestudien blind übernommen wurden und einfach nur wiedergegeben wurden, das ist skandalös.' "
Fakt abschliessend: "Über Jahre signifikante Steigerungen von Krebs in Tierversuchen nicht wahrzunehmen, das dürfte Anlass für ernste Fragen geben, zur Arbeitsweise des Bundesinstituts."
[ Das Manuskript der Fakt-Sendung vom 20.10.2015 hat der MDR hier dankenswerterweise ins Netz gestellt ]
BfR Berichterstattung zum Glyphosat - Teil 4
Mit dem Datum der öffentlichen Anhörung im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages hat das BfR am 28.09.2015 ein Papier veröffentlicht mit dem Titel "Einschätzung des BfR zu epidemiologischen Studien über kanzerogene Effekte von
Glyphosat in der EU-Wirkstoffprüfung". Hiermit reagierte das BfR auf Kritiken, dass epidemiologische Studien vom BfR nicht genügend oder sogar falsch berücksichtigt worden wären.
In der Tat haben diese bestimmten Studien in der Anhörung eine wichtige Rolle gespielt (in Auseinandersetzung vor allem von Prof. Greiser mit dem BfR) und sollen auch dort diskutiert werden. Es soll zunächst zusammengestellt werden, um welche Studien es geht.