Glyphosat - was ist das?

R.S., 23.09.2015

Vorbemerkung: Diese Seiten zum Glyphosat sind aus Anlass eines workshops des niedersächsischen Umweltministeriums heute in Hannover unter dem Titel "Der Pflanzenwirkstoff Glyphosat - Gefahr für Mensch und Umwelt?" entstanden. Zu dieser Veranstaltung ist GENUK e.V. auch eingeladen worden. Beim Schreiben dieser Artikel habe ich mich sehr stützen können auf einen guten, ausführlichen und aktuellen Artikel zum Glyphosat "Schadwirkungen durch Glyphosat-haltige Herbizide auf Böden, Umwelt, Tiere und Menschen in Europa – Vorboten des geplanten TTIP Abkommens?" von Frau Prof. Monika Krüger, bei der ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Sie hält auf dem workshop einen Vortrag zu dem Thema "Das Totalherbizid Glyphosat - eine Ursache des chronischen Botulismus?". Über diese Veranstaltung werden wir noch berichten. Ansonsten werden diese Artikel demnächst komplettiert, dies ist nur der Einstieg.

Glyphosat ist eine chemische Substanz, die 1950 zum ersten mal synthetisiert wurde (von dem Schweizer Cilag-Chemiker Henri Martin), also eine neue, bis dahin in der Welt nicht vorhandene Verbindung.

Die genaue Bezeichung von Glyphosat ist N-(Phosphonomethyl)glycin) - wie man an diesem Namen und auch an der Summenformel C3H8NO5P schon sieht, ist da N=Stickstoff, Phosho=Phosphor, Methyl=Kohlenwasserstoff, Glycin=Aminosäure und damit N=Stickstoff dabei.

Glycin ist von den 20 Aminosäuren, aus denen beim Menschen Proteine gemacht werden, die einfachste, Summenformel C2H5NO2. Vergleicht man die beiden Summenformeln, sieht man, dass das Glyphosat 1 C-Atom mehr hat, 3 H-Atome, 3 O-Atome und ein Phosphor-Atom. Man kann das Glyphosat auch als Derivat (also ein Stoff ähnlicher Struktur) des Glycin bezeichnen. Wie genau es chemisch hergestellt wird, kann man z.B. in dieser Patentanmeldung einer US-amerikanischen Firma beim Europäischen Patentamt nachlesen.

Glyphosat gehört chemisch zu den Phosphonaten. Diese Gruppe von Stoffen kommt immerhin in der Lebewelt vor, insofern hat Herr Martin 1950 eine neue, künstliche Substanz einer Gruppe von natürlich vorkommenden Stoffen hinzugefügt. Eine andere bekanntere künstlich erzeugte Substanz, die den Phosphonaten hinzugefügt wurde, sind die Bisphosphonate, die medizinisch gegen Osteoporose und vorbeugend gegen Knochenmetastasierung bei Krebs eingesetzt werden (dies allerdings mit begrenztem Erfolg und u.U. heftigen Nebenwirkungen).

Kommen Phosphonate physiologisch beim Menschen vor? Nein.

1959 wurde mit 2-Aminoethylphosphonsäure die erste natürliche Phosphonsäure identifiziert. Sie kommt in Pflanzen und vielen Tieren vor, vor allem in Membranen. Phosphonate sind weit verbreitet in vielen verschiedenen Organismen, z. B. in Prokaryoten, Eubakterien, Pilzen, Mollusken und Insekten. Die biologische Rolle der Phosphonate ist noch nicht endgültig geklärt. Bis jetzt wurden keine natürlichen Bis- oder andere Polyphosphonate entdeckt.“ (Wikipedia, Phosphonate)

Warum hat Glyphosat als "Unkraut"-Killer solch einen weltweiten Siegeszug angetreten, obschon erst 24 Jahre nach der ersten Synthetisierung die Patentierung durch Monsanto gelang?

Weil das Glyphosat einem Naturstoff von der Struktur her ähnelt und bei Pflanzen mit ihm in Konkurrenz tritt (wenngleich indirekt, s. weiter unten) und ihn bzw. seine Wirkung auf die Enzym-Funktion verdrängt oder beeinträchtigt. Dieser Naturstoff ist die Phosphoenol-Brenztraubensäure oder auch Phosphoenolpyruvat, abgekürzt PEP. Man sieht einigermassen die Strukturähnlichkeit, wenn man sich die Summenformel und eine Struktur-Zeichnung anschaut (beides aus Wikipedia):

Das PEP, auch wenn es beim Menschen als Zwischenprodukt auch vorkommt, hat bei Pflanzen noch eine besondere Bedeutung, die es beim Menschen nicht haben kann: Es dient als Substrat (Ausgangsstoff) für ein Enzym, das der Mensch nicht hat, und zwar eine Transferase: Laut Enzym-Datenbank ist der "akzeptierte Name" 3-phosphoshikimate 1-carboxyvinyltransferase, zusätzlich gibt es drei "alternative Namen", u.a. EPSP Synthase.

Man muss an dieser Stelle allerdings hinzufügen, dass zwar die körpereigenen Zellen des Menschen die EPSP Synthase nicht haben, aber gleichwohl im gesamten Stoffwechsel unseres "Super-Organismus" dieses Enzym doch vorkommt, und zwar bei Bakterien, die unseren Darm besiedeln (hierzu folgt noch ein eigener Artikel).

Und jetzt wirds besonders interessant: Was pflanzliche Zellen können, menschliche aber nicht, weil ihnen dieses Enzym fehlt, ist die Herstellung von drei Aminosäuren, Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan, die ja alle drei von uns Menschen dringend benötigt werden. Zwei davon, das Phenylalanin und das Tryptophan, gehören zu den sogenannten essentiellen Aminosäuren, die wir uns ja gerade durch den Verzehr von Pflanzen zuführen (z.B. von der Kakao-Pflanze durch Schokoladen-Genuss das Tryptophan).

Wir haben also den verblüffenden Sachverhalt, dass da ein künstlicher Stoff eine enorme Bedeutung für die heutzutage übliche Landwirtschaft weltweit hat, der eigentlich gerade das Gegenteil von dem macht, was man von der pflanzlichen Lebensmittel-Produktion erwarten sollte: Nahrung kultivieren, die wir brauchen; Natur-Stoffe wachsen lassen, die wir selbst nicht haben oder in unserem Körper herstellen können.

Wie kann das sein? Welcher Sinn soll damit verbunden werden?

Glyphosat, ein Enzym-Hemmer bei Pflanzen

An dem zerstörerischen Mechanismus in pflanzlichen Zellen kann jedenfalls kein Zweifel bestehen.

Selbst auf der Seite der Glyphosat-Industrie findet man in dem Artikel "Was ist Glyphosat?" nach einigen Abschnitten diesen bemerkenswerten Satz:

"Der Wirkmechanismus von Glyphosat in der Pflanzenzelle beruht auf der Blockade eines zentralen Stoffwechselweges, der essentiell für das Wachstum von Pflanzen ist. Dieser Stoffwechselweg kommt in allen Pflanzen, aber nicht in Tieren vor. Daher sind Glyphosat-haltige Herbizide gegen viele unterschiedliche Unkrautarten und Ungräser wirksam, zeigen jedoch nur eine geringe Toxizität gegenüber Tieren."

Aha, es wird ein "zentraler Stoffwechselweg" blockiert! Und der Gedanke ist, da es das Enzym EPSP-Synthase (das steckt hinter dem Begriff "Stoffwechselweg") bei Tieren nicht gibt, können wir es ruhig in Pflanzen killen! Auch ohne darüber nachzudenken, welchen evolutionären Sinn es wohl gehabt haben mag, dass Tiere dieses doch eigentlich "zentrale" Enzym erst gar nicht in ihr Repertoire aufgenommen haben (vielleicht weil eh genug von den essenziellen Aminosäuren im Pflanzenangebot schon da war?).

Aber wozu jetzt dieser Ich-vernichte-alles-Weg? Um welchen Vorteil davon zu haben? Um alle sogenannten "Unkräuter" zu killen, bevor die Aussaat der entsprechenden "Nutzpflanzen" beginnt, in der Annahme, dass dann das Glyphosat schon wieder verschwunden, weil abgebaut ist:

"Mittlerweile wird der Wirkstoff in hunderten von Pflanzenschutzmitteln unter verschiedenen Handelsnamen weltweit vertrieben. In der europäischen Landwirtschaft werden auf Glyphosat basierende Herbizide hauptsächlich dazu benutzt, Unkräuter vor oder nach dem Anbau von Feldfrüchten (z.B. Wintergetreide, Raps, Sonnenblumen, Mais und Zuckerrüben), in Obst- oder Weinanlagen, zu bekämpfen. Einige europäische Länder, wie auch Deutschland, setzen Glyphosat-haltige Herbizide mittlerweile auf etwa einem Drittel der landwirtschaftlich genutzten Fläche ein."

"Die essenziellen Aminosäuren in der menschlichen Nahrung stammen letztlich vorwiegend von Pflanzen"

Es findet hier ein grundlegender Eingriff in das Zusammenspiel der Ernährung von Tieren und Menschen mit ihren entsprechenden Nahrungsquellen statt. Das ist Lehrbuch-Wissen:

Im Kapitel 24 "Biosynthese der Aminosäuren" des Biochemie-Lehrbuchs Stryer, 7. Auflage, steht auf S. 729 dieses:

"Wir wenden uns jetzt der Biosynthese der essenziellen Aminosäuren zu. Diese Aminosäuren werden von Pflanzen und Mikroorganismen synthetisiert; die essenziellen Aminosäuren in der menschlichen Nahrung stammen letztlich vorwiegend von Pflanzen. Essenzielle Aminosäuren entstehen auf wesentlich komplizierteren Wegen als die nicht-essenziellen. Wenn wir hier dennoch die bakteriellen Synthesewege für aromatische Aminosäuren besprechen, so geschieht dies, weil sie gut verstanden sind und darüber hinaus beispielhaft immer wiederkehrende Regulationsmotive aufzeigen."

Es heisst dann unter Ein-Bezug des Glyphosat weiter:

"Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan entstehen in E. coli auf einer gemeinsamen Route. Ausgangspunkt ist die Kondensation von Phosphoenolpyruvat (einem Zwischenprodukt der Glykolyse) und Erythrose-4-phosphat (einem Zwischenprodukt des Pentosephosphatweges). Der hierbei gebildete offenkettige C7-Zucker wird oxidiert, verliert seine Phosphorylgruppe und zyklisiert zu 3-Dehydrochinat. Wasserabspaltung führt dann zum 3-Dehydroshikimat, das mithilfe von NADPH zu Shikimat reduziert wird.Die Phosphorylierung des Shikimats durch ATP ergibt Shikimat-3-phosphat, das mit einem zweiten Molekül Phosphoenolpyruvat kondensiert. Das 5-Enolpyruvyl-Zwischenprodukt verliert seine Phosphorylgruppe und wird zum Chorismat, der gemeinsamen Vorstufe aller drei aromatischen Aminosäuren.

Welche Bedeutung diesem Syntheseweg zukommt, zeigt die Wirksamkeit des Breitspektrumherbizids Glyphosat (Roundup). Diese Verbindung ist ein nichtkompetitiver Inhibitor desselben Enzyms, das 5-Enolpyruvylshikimat-3-phosphat erzeugt. Es blockiert die Synthese aromatischer Aminosäuren bei Pflanzen, ist aber für Tiere recht ungiftig, weil ihnen dieses Enzym fehlt."

Wobei ein "nichtkompetitiver Inhibitor" eines Enzyms ein Stoff / Substrat ist, dass sich zwar am Enzym anlagert, aber an einer anderen Stelle als dem aktiven Zentrum und als Substrat nicht direkt in Konkurrenz mit dem physiologischen Substrat tritt, s. hierzu den ausführlichen Artikel im Wikipedia zur Enzymhemmung.

Glyphosat als "Hilfs"mittel in der Landwirtschaft - ein abenteuerlicher Ansatz

Bis hierher kann festgehalten werden:

1. Menschen brauchen genau wie alle anderen Organismen, die Proteine bilden, ein Repertoire von Aminosäuren als Bausteine von Proteinen, von denen 9 essenziell sind = selbst nicht produziert werden können.

2. Diese essenziellen Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden, wobei sie vorwiegend von Pflanzen stammen, so auch das Tryptophan und Phenylalanin, dessen Herstellung in Pflanzen aber durch Glyphosat unterbunden wird.

3. Zwar können mit der Nahrung auch fertige Proteine aufgenommen werden, die diese essenziellen Aminosäuren enthalten, aber es ist schon ein ziemlich abenteuerlicher Ansatz, eine entscheidende und für die jeweilige Zelle (egal ob Pflanze oder Tier) überlebenswichtige Aminosäure-Produktion einfach ausschalten zu wollen. Da mit diesem -wirtschaftlich motivierten- Ansinnen erst 1974 mit der Patentierung durch Monsanto begonnen wurde, fragt sich, ob zu diesem Zeitpunkt die entsprechenden Chemiker, Zellbiologen und Entscheider in der Chef-Etage von Monsanto oder auch der Regulationsbehörde irgendwo ein Risiko für die menschliche Ernährung oder gar Gesundheit oder auch für die Umwelt sahen?

4. Liest man die Geschichte des Glyphosats und was Anfang der 70er bei Monsanto passierte, z.B. hier bei Dill et al., 2010, "GLYPHOSATE: DISCOVERY, DEVELOPMENT, APPLICATIONS, AND PROPERTIES", so kann man die Frage nur verneinen - es ging um die Entwicklung eines Herbizids gegen "perennial", also das ganze Jahr über wachsendes "Unkraut". Punkt. Und es sollte "fünf mal wirksamer" sein als das, was man bisher hatte. Der Krieg gegen das "Unkraut" in einer sich industrialisierenden Landwirtschaft hatte längst begonnen.
 

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